oder: ist die reine Lehre das einzig wahre?
Trotz der Bestellung des e-Golf 300 steht mittelfristig auch die Ablösung des Langstreckenfahrzeugs (ich schrieb ja schon von meinem Arbeitsweg, pro Strecke 100km und davon ist der größte Teil Autobahn) auf dem Programm. Wir wolle nichts übers Knie brechen, sondern erstmal Erfahrungen mit dem e-Golf und der Elektromobilität sammeln.
Die Gelegenheit einen i3 für ein komplettes Wochenende zu bekommen konnten wir daher nicht ausschlagen. Für den Wagen wird in 2018 ein Akku-Upgrade erwartet, zumindest sagt das die Gerüchteküche. Neben dem Ioniq (für den es das gleiche Gerücht gibt) und vielleicht dem kommenden Nissan Leaf sind das drei aussichtsreiche Kandidaten für den Platz des Langstreckenfahrzeugs.
Der Kontakt zu BMW war auf jeden Fall super. Abends im Urlaub mal das Probefahrt-Formular auf der BMW Webseite ausgefüllt, und am nächsten Tag meldete sich schon der nächstgelegene Händler. Nach einem kurzen Gespräch über den Wagen kam dann die Frage ob wir eine Probefahrt machen wollen („Klar!“), und ob denn drei Tage ausreichen würden („Och, also wenn sie es schon anbieten…“).
Am letzten Freitag haben wir den Wagen dann eingesammelt, und nach einer kurzen Einführung in die Besonderheiten des Fahrzeugs machten wir uns auf den Weg. Als lockeres Limit wurden uns 500km genannt, mit denen wir auch klar kommen sollten.
Bewaffnet mit den mittlerweile vorhandenen Ladekarten von NewMotion und PlugSurfing ging es ins Wochenende. Der erste Eindruck: Uiuiui. Doch etwas anders zu fahren. Der BMW i3 nutzt das sogenannte One-Pedal-Driving. Im Gegensatz zu Ioniq und e-Golf, bei denen man die Rekuperation in mehreren Stufen von „gar nicht“ bis „stark“ einstellen kann, geht der BMW sofort stark in die Eisen wenn man das Gaspedal lupft. Wenn man, wie wir beide, eher ein Segler ist, also den Wagen oft und gern rollen lässt, führt das zu einem sehr ruppigen Fahrverhalten.
Man muss da schon recht konzentriert mit dem Gaspedal arbeiten, um genau den Punkt zu erwischen an dem nicht mehr Beschleunigt aber auch nicht rekuperiert wird. Der Wagen hilft einem dabei aber mit einer Anzeige, und nach einigen hundert Kilometern hatten wir dann den Dreh raus.
Der Tacho wirkt etwas angestaubt, und hätte zum just erfolgten Facelift durchaus ein Update gebrauchen können.
Am Freitag konnten wir nicht viel testen, da wir beide abends noch arbeiten mussten. Um direkt bei einer Nachtschicht mit dem BMW zur Arbeit zu fahren war ich zu feige, ich wollte nicht morgens um 5 oder 6 Uhr nach einer Lademöglichkeit suchen müssen. Daher ist Dagmar etwas Kurzstrecke gefahren, und war recht angetan von der Wendigkeit des Wagens. Als Stadtauto macht er sich wirklich gut.
Am Samstag sind wir etwas durch die Gegend gefahren, und haben uns mit dem Wagen vertraut gemacht. Auch unsere heimische Wallbox wurde eingeweiht, aber zur privaten Lade-Infrastruktur gibt es später noch einen eigenen Beitrag.
Die große Tour gab es dann am Sonntag. Ich musste noch einmal kurz in die Firma, also haben wir beschlossen die Strecke mit dem i3 abzufahren. Als lockeren Einstieg sind wir erstmal nach Warburg gefahren, um dort die öffentlichen Ladesäulen auszuprobieren und den Wagen auf 100% zu laden. Die erste Ladesäule war mit einer Renault Zoe belegt, die fleissig am Laden war. Der zweite Ladepunkt wollte jedoch nicht laden, ein Gespräch mit der freundlichen Innogy Hotline ergab das die Seite der Ladesäule defekt war. Shit happens, aber es gibt ja eine zweite Ladesäule in geringer Entfernung.
Die funktionierte dann auch, der Wagen fing direkt an zu laden. Wir waren etwas irritiert das die Ladung von knapp 70% auf 100% fast 6 Stunden dauern sollte. Mangels Erfahrung dachten wir „gut, vielleicht steigert sich das ja noch“, und sind erstmal lecker frühstücken gegangen. Grob überschlagen rechneten wir mit ca. 1 Stunde für die Ladung, schließlich kann der i3 mit 11kW laden, und die Säule 22kW liefern.
Als wir wieder beim Wagen ankamen dann die Überraschung: nicht einmal 75% im Akku. Irritiert habe ich mich dann in die Untiefen des Bordcomputers gewagt, und gesehen das die Ladegeschwindigkeit auf „niedrig“ eingestellt war. Also schnell auf „maximal“ gestellt und den zweiten Ladeversuch gestartet. Etwas besser, aber immer noch 4 Stunden die angezeigt wurden. Bei einem Füllstand von etwas über 80% haben wir uns dann auf den Weg gemacht. Später haben wir dann auch noch den Grund für das immer noch sehr langsame Laden gefunden: BMW legt offenbar nur ein einphasiges Ladekabel in den Kofferraum, was die Ladeleistung von 11kW auf nur 3,6kW begrenzt:
Da wir mit 80% den Hin- und Rückweg sicher nicht schaffen würden haben wir als erstes die Ladestation bei DMG Mori bei Bielefeld angesteuert. Ein Traum: kurz beim Pförtner anmelden und man kann kostenfrei mit Typ2, CCS oder Chademo laden. Die ganze Geschichte des Ladevorgangs würde den Rahmen sprengen, auch dazu schreibe ich noch einen eigenen Beitrag. Es hat auf jeden Fall wunderbar geklappt, und wir haben unsere erste Schnelllade-Erfahrung genossen.
Von da aus ging es kurz nach Gütersloh ins Büro, und mit einem kurzen Zwischenstopp in Paderborn wieder nach Hause. Mit 100% Akku hätten wir die Strecke knapp ohne Zwischenladen geschafft. Unter schlechteren Bedingungen (Regen oder gar Schnee und Eis, Stau, Umleitungen oder Baustellen) aber vermutlich nicht. Um mich zuverlässig zur Arbeit und zurück zu bringen sind also offenbar sowohl der e-Golf und auch der i3 und Ioniq im Winter nicht geeignet. Da heisst es wohl warten auf die nächste Generation von Fahrzeugen, die einen 50% größeren Akku mitbringen. Damit sollte es dann klappen.
Am Montag morgen haben wir den Wagen dann schweren Herzens zurück gebracht, und können nach einem kompletten elektrisch verbrachten Wochenende unseren e-Golf kaum noch erwarten.
Das Gesamtkonzept des i3 fasziniert auf jeden Fall. Konsequenter Leichtbau, die Ausrichtung als Stadtauto, das macht alles Sinn. Die äußere Erscheinung polarisiert auf jeden Fall, wir haben mehr Aufmerksamkeit erregt als mit den e-Gölfen. Die hohe Bauform führt aber leider zu recht hohen Verbräuchen, sobald es an die 100km/h oder mehr geht.
Der Schalthebel am Lenkrad ist auch etwas ungewohnt, aber wie auch an das Gaspedal gewöhnt man sich schnell dran. Das Soundsystem ist gut, das Navi zeigt etwas psychodelische Farben, aber hat uns trotzdem immer ans Ziel gebracht. Die Klimaanlage ist etwas laut, und leider auch nur – wie beim Ioniq – ein Ein-Zonen-System.
Das Türkonzept ist zunächst abschreckend, die hinteren Türen lassen sich nur öffnen wenn die vorderen Türen auch auf sind, und vorne auch niemand angeschnallt ist. Dazu sind sie auch recht klein, was für die Auslegung des Wagens als Single- oder Pärchenfahrzeug spricht. Als Familienfahrzeug mit Kindern finden wir den Wagen weniger geeignet. Um aber „nur mal eben“ eine Tasche auf die Rückbank zu legen ist das Türkonzept ideal. Dafür ist die B-Säule entfallen, was zu einer sehr guten Sicht nach schräg hinten führt. Das Schiebedach ist zweigeteilt, was wir nicht ganz nachvollziehen konnten. Wir würden keins bestellen.
Vom Kofferraum haben wir kein Foto gemacht, er ist aber erschreckend klein. Gefühlt passt gerade eine Handtasche rein, aber der Praxis-Test beim Einkaufen ergab: immerhin Platz für drei Wasserkisten. Dann ist aber auch voll, und 1.5l Flaschen sollten es möglichst auch nicht sein. Der Frunk, also der kleine Laderaum unter der vorderen Haube, hingegen ist sehr praktisch, den werden wir beim e-Golf sicher vermissen. Ein idealer Platz um die Ladekabel unterzubringen, und den Kofferraum voll nutzbar zu haben.
Was kann man also zu dem i3 als Fazit sagen?
Zunächst das, was wir nach jeder Probefahrt dachten: Elektro, das isses. Die Laufruhe, Beschleunigung, keine Motorgeräusche, jeden Morgen ein vollgeladenes Auto, der Umweltgedanke. Man will nicht wieder zurück.
Zum i3 generell: mit einem größeren Akku passt er ins Beuteschema, und dann muss ich mich mit den Nachteilen näher befassen. Die sind der hohe Autobahnverbrauch, die Windgeräusche, und die erstaunlich hohen Betriebskosten. Zum einen scheint BMW bei den Wartungskosten durchaus auf Verbrenner-Niveau zu liegen, und auch neue Reifen sind ungleich teurer als bei dem e-Golf oder Ioniq, da BMW auf ein sehr exotisches Reifenformat (großer Durchmesser, aber sehr schmal) setzt. Auch der Kaufpreis des Fahrzeuges in Wunschausstattung liegt deutlichst über dem Ioniq, und auch spürbar über dem e-Golf.
Einen klaren Vorteil der oft genannten „reinen Lehre“ konnten wir nach unseren Probefahrten nicht erkennen. Der i3 als „reines“ Elektrofahrzeug, von Grund auf neu entwickelt, konnte keine klaren Vorteile aufzeigen. Der Ioniq als „kleiner“ Kompromiss mit seinen hybriden Schwestermodellen oder auch der e-Golf als „großer“ Kompromiss als abgewandeltes Verbrenner-Modell machen ihre Sache locker genau so gut.