oder: Leute, was habt ihr eigentlich erwartet?
Nach fast 3 Monaten ohne Beitrag ist mir heute ein klein wenig die Hutschnur gerissen. Nicht wegen einem unserer Autos, da läuft alles geschmeidig. Gleich geht der e-Golf zur 30.000er Inspektion, der Ioniq steht bei 19.000km.
Was treibt also meinen Puls in die Höhe? Die Reaktion vieler Elektromobilisten auf die Tarif-Anpassungen einiger großer Ladekarten-Anbieter.
Nach einer tollen Zeit in der es den Strom quasi geschenkt gab stellen einige Anbieter jetzt ihre Tarife auf Preise um, mit denen sie vielleicht sogar den einen oder anderen Cent verdienen. Neben dem Streben der Unternehmen nicht bei jedem Ladevorgang drauflegen zu müssen dürfte auch die anstehende Frist zur Umstellung auf kWh basierte Tarife ein Grund dafür sein.
Erstmal dazu: Die Abrechnung nach kWh, und nicht nach Ladezeit, ist sinnvoll und richtig. Und dass das Eichrecht vorsieht, das die Abrechnung auch nachvollziehbar sein muss, ebenfalls. Man könnte jetzt klagen dass die Behörden das Thema nicht schon früher angegangen sind, aber nicht das es jetzt endlich mal umgesetzt wird.
Und zu den Ladepreisen an sich: hat echt jemand geglaubt, das wir auf Dauer zu 5, 4 oder gar 2 Cent pro Minute mit bis zu 175kW laden können? Really? In allen Foren und auf Twitter schallt es mir entgegen: Abzocke, Wucher, da kann ich ja gleich wieder nen Diesel (oder in einem Falle gar einen V8) fahren.
Ja Leute. Was habt ihr denn für ne Anspruchshaltung? Ihr wolltet einfache Tarife – einfacher und fairer als nach kWh geht es im Grunde doch gar nicht (auch wenn einige Anbieter es doch wieder verkomplizieren, aber dazu kommt unten noch was). Die Diskussion ist irgendwie immer die gleiche, wir hatten sie schon als Maingau die Tarife angepasst hat, dann bei EnBW, jetzt bei Telekom Ladestrom GET CHARGE. Allen gemein ist: es gab eine Phase mit spottbilligen Lockpreisen, die dann zu mehr oder weniger brauchbaren Tarifen angepasst wurden.
Den im großen und ganzen interessantesten Tarif hat jetzt lustigerweise Maingau, die als erste gezuckt haben und für ihre Tarifänderung richtig viel Prügel bezogen haben. 25ct pro kWh, egal ob AC, oder DC. Für Haushaltsstromkunden von Maingau sogar nur 15ct pro kWh. Ein mehr als fairer Preis, einheitlich für alle Ladesäulen, völlig ok – bis auf den Haken der Standgebühr. Ab einer Stunde am Schnelllader oder zwei Stunden an einer normalen Ladesäule kommen Kosten dazu – der Tarif ist also nichts für Laternenparker oder längere Stadtbummel beim Laden. Doof, aber gerade für DC Ladungen auf Langstrecke ein sehr interessanter Tarif.
EnBW möchte gerne 39ct an AC und 49ct an DC haben, wenn man sich für die Tarifvariante ohne Grundgebühr entscheidet, oder 29ct bzw 39ct bei knappen 5 EUR Grundgebühr im Monat. Dieser Tarif rechnet sich schon bei etwa 50kWh im Monat, also quasi zweimal den e-Golf oder Ioniq laden. Wer im EnBW Gebiet wohnt oder arbeitet sollte da sehr gut mit klar kommen.
Die Telekom nimmt ab dem 3. April jetzt ebenfalls 29ct an AC, und 39ct an DC Ladepunkten, ohne Grundgebühr oder Zeitkomponente. Also ein guter Tarif – bis auf den Haken: der gilt nur für „bevorzugte Ladepartner“, an allen anderen Ladesäulen zahlt man einheitliche 89ct pro kWh. Man muss dazu sagen das die Auswahl an „bevorzugten“ Ladepartnern schon sehr gut ist. Die 89ct sind eher als „besser als liegenbleiben“ anzusehen, aber nicht als ernsthafte dauerhafte Ladeoption.
Genau an diesen 89ct arbeiten sich jetzt die Leute in den Foren ab, wollen ihre Telekom Ladekarte schreddern und rufen den Untergang der Welt aus. Und ich denke mir: gehts noch?
Ich bin ja sofort dabei den Irrsinn der Tarife zu kritisieren, das kann man keinem normalen Menschen erklären. An der Ladesäule nimmst du Karte X, ausser du willst länger als 2 Stunden bleiben, dann lieber Y, aber pass auf, mit Karte Z wird es sauteuer. Das macht niemand mit, da muss man schon etwas bekloppt sein um sich auf das Spiel einzulassen.
Worüber sich aber aufgeregt wird sind die Preise an sich. Bei den 89ct der Telekom bin ich auch dabei – das ist schlicht und ergreifend indiskutabel zu hoch. Aber bei 30ct AC, 40ct DC, plus/minus ein paar Cent? Völlig ok, niemand hat je versprochen das es Ladestrom quasi geschenkt geben muss. Und der Vergleich mit Haushaltsstrom oder Industriestrom greift auch zu kurz:
- Wer sagt „ich lade daheim für $Haushaltsstrompreis“ der belügt sich selbst. Rechnet die Kosten für die Wallbox und die Installation mal mit rein, dann sehen die Preise ganz anders aus. Bei uns waren das etwa 1.500 EUR, auf 10 Jahre gerechnet 150 EUR pro Jahr. Bei den 13.257km, die laut KBA ein Auto in 2017 gefahren ist, und einem Verbrauch von angenommenen 15kWh/100km bräuchte man etwa 2.000kWh Strom. Bei 150 EUR Kosten für die Infrastruktur sind das 7,5ct/kWh die auf euren Haushaltsstrom drauf kommen, und schon sind 29ct pro kWh für externes Laden gar nicht mehr so teuer, woll?
- AC Ladesäulen für den öffentlichen Bereich kosten weit mehr als die Wallbox daheim. Sowohl der Invest ist höher, da die Säulen ganz andere Ansprüche an Vandalismusschutz, Robustheit haben, oft auch einen eigenen Sockel mitbringen müssen, und auch die laufenden Kosten für den Betrieb eines Abrechnungssystems und Wartungsarbeiten läppern sich. Dazu kommt das gerade einzeln stehende Säulen gleich das Gegenstück zu einem Hausanschluss benötigen.
- DC Ladesäulen sind ungleich teurer, sowohl im Invest als auch in den laufenden Kosten, und auch vom Stromanschluss her.
- Die Auslastung ist oft noch recht gering, momentan geht es gar nicht um Geld verdienen sondern um sich Standorte zu sichern, oder den Absatz von Fahrzeugen und damit die Elektromobilität an sich zu fördern.
- Auch die diversen Förderprogramme bringen eine Ladesäule selten bis nie in die Gewinnzone.
- Eine Ladesäule gilt als Letztverbraucher, und damit fallen alle Abgaben auf den Strompreis an die ein normaler Stromanschluss auch stemmen muss. Der Vergleich mit „aber der Strom kostet den Anbieter als Energieerzeuger oder Großkunde nur 3ct/kWh ist also Unsinn.
- Alle Anbieter über die sich gerade aufgeregt wird sind (große) Roaminganbieter. Selbst wenn sie eigene Säulen betreiben ist der aufgerufene Preis immer eine Mischkalkulation aus den Preisen ALLER Roamingpartner. Die Telekom macht es mit ihrem Tarif jetzt sogar mal transparent welche Anbieter faire Preise aufrufen, und daher für 30-40ct pro kWh angeboten werden können, und welche eher als Abzocker unterwegs sind.
Die Frage ist am Ende wirklich: was hat man denn erwartet? Wer Elektroauto fährt um quasi 0 Betriebskosten zu haben, der ist sicher jetzt enttäuscht und frustriert. Wer billiger unterwegs sein will als mit einem Diesel oder Benziner, der kann das in der Regel auch mit den aktuellen Tarifen gut schaffen. Man muss ja auch immer die Gesamtkosten betrachten – eingesparte KFZ Steuer, niedrige Wartungskosten. Auf große Vergleichsrechnungen was die Verbrauchskosten im Vergleich zum Verbrenner angeht verzichte ich mal, da kann sich jeder alles so schön rechnen wie er es grad braucht, was in den diversen Foren ja schon zur genüge passiert.
Einfach zur Übersicht eine kleine Liste wieviel 100km mit einem Elektroauto und einem Verbrauch von 20kWh inkl. aller Ladeverluste kosten:
- 0,25ct pro kWh: 5,00 EUR
- 0,29ct pro kWh: 5,90 EUR
- 0,39ct pro kWh: 7,80 EUR
- 0,49ct pro kWh: 9,80 EUR
- 0,89ct pro kWh: 17,80 EUR
Bis auf den absolut indiskutablen letzten Preis muss man sich kaum vor Verbrennern verstecken. Bei unter 30ct/kWh ist man locker unter einem Diesel, und auch mit 49ct/kWh unterbietet man Benziner.
Für uns ist die Elektromobilität auch noch weit überlegen wenn es genau so teuer wäre wie mit einem Verbrenner zu fahren, oder auch ein paar Euro mehr kosten würde. Das ist uns der Schutz und die Entlastung von Umwelt und Mitmenschen auf jeden Fall wert.
Das Problem ist einzig die Komplexität der Ladekosten. Momentan ist da EnBW am besten aufgestellt: Je ein Preis für AC und DC, fertig. Für Langstrecke werden wir primär Maingau nehmen, mit Telekom als Backup-Lösung.
TL,DR: Hier gibts ein Video von Dirk zum Thema. Auch wenn ich oft nicht mit Dirk einer Meinung bin, hier hat er es gut und ruhig/sachlich erklärt.
Hallo Daniel,
danke für diesen guten Beitrag. Ich sehe das ganz genau so.
Was mich bei dem Telekom-Tarif aber fast noch mehr stört als der hohe Preis für die „sonstigen“ Roaming-Partner, ist die Unsicherheit, die dadurch entsteht. Das ist das gleiche Lotteriespiel wie bei New Motion oder Plugsurfing. Man kann nur hoffen, dass sich das mit der Zeit doch alles glatt bügelt. Der Wettbewerb geht gerade erst los.
Grüße Martin
Pingback: Wie will man eigentlich den Ladestrom bezahlen? – 1.21 Gigawatt!