Und kriegt Reichweitenangst. Bei 240km Landstraße.
tl;dr: Wenn sie nicht gegen jeden Sinn und Verstand mit einer nicht abgerollten Kabeltrommel nachgeladen hätten, die dann vermutlich aus thermischen Gründen abgeschaltet hat, wär alles gut gegangen.
Nach dem unterirdischen „Test“ des e-Golfes vor einiger Zeit legen die Experten von Golem nach. Es folgt die ultimative Herausforderung: Reichweitenangst! Schon der erste Absatz zeigt wo die Reise hingeht.
„Zugegeben: Der Golf ist kein Tesla. Freude macht er trotzdem. Bis wir ihn laden müssen.“
Ok. Der Puls schnellt hoch, aber warten wir ab was den armen Menschen passiert ist.
„Für den Folgetag ist ein Termin außerhalb von Berlin angesetzt. Kyritz an der Knatter, etwa 120 Kilometer nordwestlich von Berlin. Wir wollen herausfinden, ob es möglich ist, spontan mit einem Elektroauto einen Ausflug zu machen, ohne dabei liegenzubleiben.“
Die Karte die in dem Video zum Artikel eingeblendet wird sagt 110km, aber egal. 2 Stunden haben sie gebraucht für die Strecke, also ein Schnitt von 55km/h. Normal auf Landstraße, passt also. Aber der Reihe nach.
„Vor dem Termin wollen wir noch den Akku vollladen. VW hat uns eine Charge&Fuel-Ladekarte zur Verfügung gestellt, inklusive App. Um die Ecke gibt es laut App eine kompatible Ladestation.“
Mit einer Charge&Fuel Karte kann eigentlich nicht viel schief gehen. Ich deute das so das sie vor Fahrtantritt den Akku laden wollen. Macht Sinn, auch wenn man sich drüber streiten kann ob man das nicht besser über Nacht macht. Aber vielleicht haben sie keine Ladesäule zu Hause.
„Dann fahren wir auf den Euref-Campus am Gasometer Schöneberg“
2 Ladepunkte gibt es laut der App dort, 22kW AC mit Typ 2. Jetzt nicht die erste Wahl, aber gut. Besser als nix. In 2km Entfernung hätte es auch einen Schnelllader gegeben.
„Nach vergeblichem Testen aller Säulen – immerhin etwa ein Dutzend – fahren wir weiter. Ein paar Straßen weiter, so sagt es das Navigationssystem im Auto, gebe es noch eine Ladesäule.“
Nunja. Vermutlich hatten sie keine Online-Anbindung im Navi aktiv. Andererseits zeigt das schon das man sich durchaus Gedanken machen muss wo man lädt. Ein Blick in die reichhaltig verfügbaren Ladesäulen-Apps oder ins GoingElectric Verzeichnis hätte überigens eine 50kW Ladesäule bei Lidl, 2 Straßen weiter, gezeigt. Kostenlos nutzbar.
„Auf dem Weg passieren wir einen Supermarkt der Kette Lidl. Moment – da war doch etwas? Irgendwo haben wir gelesen, dass es dort eine Ladesäule gibt, die in der VW-App nicht verzeichnet ist. Und tatsächlich: Neben der Einfahrt steht sie. Groß, weiß – und frei.“
Na immerhin.
„Diese Säulen – außer bei Lidl stehen sie beispielsweise auch bei Ikea mit 20 Kilowatt – werden während des Tests unsere Favoriten.“
Nunja. Es gab also leichte Schwierigkeiten eine nutzbare Ladesäule zu finden. Jetzt sollte der Akku aber komplett voll sein, ich würde da keine Probleme mehr erwarten.
„Ärgerlich und bemerkenswert ist, dass in der Charge&Fuel-App diese wie auch weitere kostenlose Ladestellen nicht erscheinen.“
Eigentlich nicht, Sinn der App ist es Ladestellen zu finden die im Charge&Fuel Verbund nutzbar sind – und kein universelles Verzeichnis zu bieten. Aber jedenfalls scheint jetzt die Reise mit vollem Akku loszugehen.
„Auf der Autobahn fahren wir – zu den Klängen von Kraftwerk – mit mäßigem Tempo, im Schnitt etwa 100 Kilometer pro Stunde. Die Rekuperation haben wir auf höchste Stufe gestellt – dazu wird am Schalthebel die Einstellung B gewählt.“
Naja, bisschen langsam, aber ok. Kann man machen. B ist allerdings nicht so optimal als Rekuperationsstufe auf der Autobahn, da nimmt man eher das normale D, oder D1. Man will ja eher segeln und gleichmäßig fahren. B ist eher was für die Stadt.
„Auf der Landstraße schleichen wir, um Strom zu sparen, mit 70, 80 Kilometern pro Stunde dahin und ziehen eine Schlange von Autos hinter uns her, die bei erster Gelegenheit an uns vorbeipreschen“
Naja auch auf der Landstraße kann man locker 100km/h fahren wo es erlaubt ist.
„Als wir unser Ziel in Kyritz erreichen, zeigt unser Ladestand noch gut 75 Kilometer verbleibende Reichweite.“
Im Video sind 97km zu sehen, aber egal.
„Immerhin erregen wir Aufsehen und bekommen einen Sympathiebonus, als wir mit dem E-Golf vorfahren. Der freundliche ORP-Geschäftsführer Ulrich Steffen stellt uns ein Verlängerungskabel zu einer herkömmlichen Haushaltssteckdose zur Verfügung.“
RTFM, man soll kein Verlängerungskabel verwenden. Und wenn dann komplett abrollen!
„Wir stecken ein. Auf der Instrumententafel erscheint ein kleines grünes Stecker-Icon und die Angabe, es werde über elf Stunden dauern, den Akku zu laden. So lange wollen wir nicht bleiben. Aber der Akku muss ja auch nicht unbedingt voll werden. Es reicht, wenn wir genug Strom für die Rückfahrt laden.“
Also wirklich über 60% aus dem Akku gezogen. Es müssten also etwa 20% nachgeladen werden um sicher bei der Fahrweise in Berlin anzukommen. Das wären ca. 7kWh, mit dem Schuko-Kabel etwa 3 1/2 Stunden. Die Überlegung wie lang der Termin vor Ort war ist hinfällig, dann „natürlich“ hat der Ladevorgang abgebrochen. Im Video zum Artikel sieht man etwa bei 1:30 das die Kabeltrommel nicht ganz abgewickelt wurde. DAS ist allerdings jetzt nun wirklich Allgemeinbildung: Kabeltrommeln gerade bei Dauerlast GANZ abwickeln. Das Kabel wird warm, und wenn es noch (teilweise) aufgewickelt ist sehr warm. Das gibt dann hoffentlich nur eine Abschaltung durch den Thermoschalter in der Kabeltrommel, im schlechtesten Fall ein kleines Feuerchen. Ich würde also vermuten das der Thermoschalter ausgelöst hat.
„Die Reichweitenanzeige steht immer noch bei gut 70 Kilometern. Woran es gelegen hat, lässt sich später nicht mehr rekonstruieren. Wahrscheinlich hat die Sicherung der Last nicht standgehalten und den Stromfluss unterbrochen.“
Shit happens. Wenige Kilometer weiter hätte es einen Tesla Destination Charger gegeben, der auch für andere Fahrzeuge funktioniert.
„Wir sind etwas ratlos. In Neuruppin, das hatten wir vorher recherchiert, gibt es eine Ladestation an einem Hotel, die uns die App jedoch vorenthält.“
So, die Autoren wissen also wie man Ladesäulen findet, und haben im Vorfeld recherchiert. Also wären alle Probleme vermeidbar gewesen. In Neuruppin gibt es 3 Ladestellen mit mehreren Ladepunkten, alle kostenfrei nutzbar. Zwei ohne jegliche Freischaltung, die Ladesäule der Stadtwerke muss man sich am Empfang freischalten lassen. An jeder dieser Stellen hätte man in unter einer Stunde genug in den Akku bekommen um sicher nach Berlin zurück zu kommen.
„Wir schauen im Navi nach – und finden einen Lader bei den Stadtwerken Neuruppin.“
Na geht doch, wieso nicht gleich so? Ist vermutlich dramatischer wenn es erstmal woanders schief geht.
„Wir entscheiden uns für einen Kompromiss: Wir warten nicht, bis der Akku ganz voll ist, sondern so viel Strom geladen ist, dass wir zu einem Schnelllader in Berlin kommen. Wir vertreiben uns zwei Stunden, dann haben wir genug Strom für die Fahrt.“
Pro-Tipp für Einsteiger: man muss nicht den Akku immer auf 100% laden. Gerade in so einer Situation läd man nicht am langsamen AC Lader bis 100%, sondern nur so viel das man sicher bis zum nächsten Schnelllader kommt. Das ist kein Kompromiss, das ist gesunder Menschenverstand.
„Als wir den Schlüssel zurückgeben, erfahren wir, dass das Laden des Elektroautos kostenlos war.“
Das hat man nicht vorher gefragt? Aber auch egal. 2 Stunden sind mehr als genug um wieder bis nach Berlin zu kommen, das langt für 100km.
„Im Überschwang wagen wir sogar einen Geschwindigkeitstest: Bis auf etwa 157 Kilometer pro Stunde beschleunigt der Golf auf freier Strecke kurz vor Berlin, doch dann macht uns ein Warnton unsanft darauf aufmerksam, dass nur noch Strom für 50 Kilometer im Akku ist.“
Ca. 14kWh nachgeladen, das sind 40% Akku oder ca. 100km Reichweite. Plus 30 die noch im Tank waren. Bis Berlin sind es ca. 75km Strecke, und die Angabe „kurz vor Berlin“ ist natürlich sehr relativ. Aber alles noch im Rahmen würde ich sagen.
„Das hätten wir nicht tun sollen: Der Platz an der Ladesäule ist besetzt. Ein Mercedes steht davor, das Kabel eingesteckt. Wir schauen trotzdem auf das Display – die Säule ist vom gleichen Typ wie die bei Lidl. Es zeigt, dass der Akku des Mercedes geladen ist. Mit etwas Rangieren bekommen wir den Golf so hingestellt, dass das Kabel gerade reicht. Eine Stunde Zeit für die volle Ladung, verspricht die Ladesäule. Nach einer Viertelstunde ist der Akku halb voll und wir machen uns auf den Heimweg.“
Naja ein Mercedes läd AC, die Autoren wollten mit DC schnell laden. Auch wenn man unerfahren ist und nicht weiss das AC und DC in der Regel parallel nutzbar ist, hätte man es ausprobieren können.
„Unsere Lehre aus der Fahrt nach Kyritz: Wir haben es kennengelernt, das Gefühl, liegenzubleiben und nicht mehr wegzukommen. Das ist wohl die Reichweitenangst. Aber spricht das gegen Elektroautos? Eher gegen unsere Herangehensweise: Eine längere Fahrt, aufs Land zumal, sollte sorgfältig vorbereitet werden.“
Ein klares jein. 220km ist nichts was ich als längere Fahrt bezeichnen würde. Mit minimaler Vorbereitung oder etwas gesundem Menschenverstand (Kabeltrommel abrollen!) hätte man sich auf dieser Fahrt viel Stress erspart, man hätte gleich einen Stop in Neuruppin einplanen können für ca. eine Stunde, und wenn man weiss das es eng werden kann halt die Hochgeschwindigkeitstests unterlassen sollen.
Aber again, nicht dramatisch genug für nen Artikel dann.
„Neben zusätzlichen Ladekarten sind auch weitere Apps unverzichtbar, die anzeigen, wo es Möglichkeiten zum Laden gibt. Damit kann man sich vorab darüber informieren, wie abgerechnet wird und welche Ladestandards die Säulen bieten. Hilfreich ist auch ein Reiseführer, der über Sehenswürdigkeiten und das gastromonische Angebot vor Ort informiert – falls das Laden länger dauert.“
Die Autoren wussten also wie es richtig geht, aber offenbar war die Hoffnung mit einem dramatischen „wir werden alle sterben“ Beitrag mehr klicks zu bekommen als mit einem sachlichen Beitrag der ehrlich sagt wo die Probleme sind, aber auch direkt aufzeigt wie die Lösung ist. Mit etwas gesundem Menschenverstand hätte auch das Laden an der Schuko-Dose geklappt und ausgereicht.
Unterm Strich bleibt natürlich die Erfahrung das man nicht an jeder Ecke Strom bekommt, gerade wenn es aufs flache Land raus geht. Und das man sich daher vorher mal umschauen sollte wo man laden kann. Ein Elektroauto ist daher, zumindest heute, nichts für jemanden der einfach ins Auto springen und >200km ohne nachdenken fahren will. Immerhin in dem Punkt bin ich mir mit den Golem Autoren einig.
Das kann man aber auch sachlich und positiv rüber bringen. Schlagzeilen wie die von Golem hier, oder die Schlussworte im Video „der Ausflug hat statt geplanter 6 Stunden ganze 11 Stunden gedauert“ helfen niemandem, vor allem nicht wenn ohne die hausgemachten Probleme (Stichwort Kabeltrommel!) 4 1/2 von den 5 Stunden „Verlängerung“ gar nicht nötig gewesen wären.
Liebe Golem Autoren – bitte berichtet fair und sachlich, und verzichtet auf derartige Drama-Stories auf Bildzeitungs-Niveau.